Verlassen die Briten wirklich die EU? Für Deutschland könnte es ungemütlich werden. Die Kanzlerin gibt sich kleinlaut – noch.
Die mächtigste Frau der Welt traut sich nicht? Jein! Angela Merkel hofft inständig, dass die Briten in der Europäischen Union bleiben. Aber zu laut sagt die Kanzlerin das lieber nicht.
Vor ein paar Tagen, da hat sie eine kleine Ausnahme gemacht, die in britischen Medien als „bisher stärkste Einmischung“ oder gar als Bruch ihres „selbst auferlegten Schweigegelübdes“ bezeichnet wurde. Bei einer Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Kanzleramt fragte ein BBC-Journalist nach ihren Sorgen vor einem möglichen Brexit.
Merkel warnte vor den Nachteilen, wortreich, aber etwas umständlich sprach sie über Verhandlungen, die von innen besser als von außen zu führen seien. Nichts, was wirklich in Erinnerung blieb. Außer vielleicht, dass Merkel am Ende noch einmal betonte: „Um jetzt aber kein Missverständnis auftreten zu lassen: Die Menschen in Großbritannien entscheiden.“
Die Angst vor dem Brexit geht um
Die Angst geht um in der deutschen Politik. Die Angst vor dem Brexit. Und die Angst, vor dem entscheidenden Referendum am 23. Juni mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für einen Verbleib Großbritanniens in der EU genau das Gegenteil zu bewirken: dem Out-Lager Auftrieb zu geben.
Angeblich haben die Briten selbst um Zurückhaltung gebeten. Im Februar soll das gewesen sein, als David Cameron mit den EU-Staats- und Regierungschefs jene Sonderrechte verhandelte, mit denen er seinem Volk die EU schmackhaft machen möchte. Haltet Euch einfach raus, lautete demnach die Botschaft, keine Interviews in britischen Zeitungen, keine Auftritte vor Ort, damit die Brexit-Befürworter nicht sagen können: Genau darum geht es – diese ewige Bevormundung und Schulmeisterei aus Berlin und Brüssel.
Dabei hätte gerade die Bundesregierung Grund, nicht stumm zu bleiben. Denn ein Austritt des Vereinigten Königreichs wäre für Deutschland eine Katastrophe.
Dabei sind es nicht einmal drohende Turbulenzen auf den Finanzmärkten oder die wirtschaftlichen Folgen, die die Bundesregierung umtreiben. Großbritannien ist Deutschlands drittwichtigster Handelspartner, das Exportvolumen lag 2015 bei 89 Milliarden Euro). Mehr als 2500 deutsche Unternehmen sind auf der Insel aktiv, umgekehrt haben rund 3000 britische Firmen Niederlassungen in Deutschland. Ohne den EU-Binnenmarkt würden die engen Beziehungen viel komplizierter.
Brexit: Für Deutschland geht es ums Eingemachte
Die europäische Einigung gehört zur deutschen Nachkriegsidentität, das Grundgesetz erhebt das vereinte Europa zum Staatsziel. Ein Good bye der Briten aber würde der EU einen Schlag versetzen, von dem sie sich nur schwer erholen dürfte. Und das in einer Zeit, in der sich Europa ohnehin in einer historischen Krise befindet.