Der Verkehr in deutschen Städten wird immer dichter, die Staus auf den Autobahnen immer länger. Baustellen reihen sich aneinander wie Perlen an einer Schnur. Warum nicht das Fahren einer künstlichen Intelligenz ganz oder teilweise überlassen? Im Interview mit Prof. Dr. Gunther Schaaf von der HS Esslingen gehen wir auf aktuelle Entwicklungen zum Thema ein und stellen uns der Frage der digitalen Ethik.
Von Jörg Zinsmeister
Bereits 1931 berichtet Erich Kästner in seinem Roman „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee“ von der voll elektrischen Stadt Elektropolis, in welchem die Autos von selbst fahren. Jetzt, gut 88 Jahre später, ist die Entwicklung so weit vorangeschritten, dass diese Vision in Teilen Wirklichkeit wird.
Was haben wir uns unter autonomem bzw. automatisiertem Fahren eigentlich vorzustellen? Auf der Seite der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) findet sich folgende Tabelle als Klassifizierung für automatisiertes Fahren:
Fahraufgaben der Fahrer nach Automatisierungsgrad (Quelle: BASt)
Allen diesen Stufen ist eines gemein – im Auto sitzt auf jeden Fall ein Fahrer. Je höher das Level der Automatisierung ist, desto weniger wird dessen Aufmerksamkeit und dessen Bereitschaft für einen Eingriff in den Vorgang des Fahrens benötigt. Im Level 4 könnte der Fahrer sogar im Auto schlafen und würde erst am Ziel geweckt. Sollte unterwegs etwas Unvorhergesehenes geschehen, kann das System das Fahrzeug selbsttätig anhalten und auf dem Standstreifen ausrollen lassen.
Ergänzend dazu sei angeführt, dass es in den USA noch einem weiteren Level gibt – das Fahren eines Fahrzeuges auf öffentlichen Straßen ohne Fahrer. Hierfür fehlen bei uns die rechtlichen Grundlagen insbesondere im Bereich der Haftung fehlen, ist dies bei uns derzeit nicht erlaubt. Keine Versicherung würde solch ein Fahrzeug derzeit aufnehmen.
Prof. Gunther Schaaf im Interview
Freitext24: Welche Bereiche eignen sich besonders für das autonome Fahren und wo wird es sich im Individualverkehr durchsetzen?
Prof. Gunther Schaaf: Autonomes bzw. automatisiertes Fahren beruht auf der Programmierung von Fahrsituationen. Diese Situationen stellen immer wiederkehrende und gleichförmige Vorgänge dar. Zum Beispiel das Fahren auf einer Straße von Punkt A zu Punkt B.
Aus dem alltäglichen Verkehr wissen wir, dass wir immer wieder mit unvorhergesehenen Situationen konfrontiert werden. Ein Kind läuft auf die Straße, Fahrzeuge biegen ein oder bremsen unvermittelt stark ab.
In allen abgeschlossenen Bereichen wie einem Industriegelände oder einem Flughafen ist daher das automatische Fahren als Erstes denkbar. Gerade im Bereich des Rangierens oder dem Beladen von Containern trägt es sogar zur Unfallverhütung bei.
Auch auf einer Autobahn finden wir die wenigsten solcher Störfaktoren. Deshalb macht das autonome Fahren hier auch Sinn. Störereignisse sind meist Stau, stockender Verkehr oder Baustellen. Diese können mit entsprechenden Systemen an das Fahrzeug weitergegeben werden. Zudem sind die Fahrbahnen breit mit wenigen Kurvenradien. Zusätzliche benötigte Infrastruktur z.B. intelligente Schilder können leicht installiert werden.
Ein weiteres Feld ist der ruhende Verkehr. Der PKW kann selbst eine passende Parklücke suchen und dann einparken. Herkömmliche Parkhäuser könnten besser ausgelastet und genutzt werden. Ein Fahrzeug fährt selbst durch die Schranke und wird dann zu einem Stellplatz geleitet. Da keine Türen geöffnet werden müssen, kann enger geparkt werden. Das spart Platz, das Parkhaus ist effizient ausgelastet in Zeiten von immer knapper werdendem Raum in Städten ein gewichtiges Argument.
Als letztes werden Landstraßen und die Städte erschlossen werden. Zahlreiche unterschiedliche Fahrzeuge und Verkehrsteilnehmergruppen erschweren dem System selbsttätig hindurch zu finden. Selbstlernende Systeme wären dort eine Lösung. Diese sind aber nicht zulassungsfähig. Denn für eine Zulassung muss das System abgeschlossen – fertig sein. Nur dann sind alle Risiken erforscht und abgesichert. Ein selbst lernendes System ist hingegen nie abgeschlossen und kann jeden Tag neue Risiken gebären, die dann nicht abgesichert wären.
Freitext24: Welche Voraussetzungen in der Infrastruktur (z. B. bei den Straßen) müssen für das autonome Fahren gegeben sein?
Prof. Gunther Schaaf: Die Infrastruktur selbst muss nicht eigens für das autonome Fahren umgebaut oder aufgerüstet werden. Ziel ist, dem Fahrzeug selbst alle Hilfsmittel dazu an Bord mit zu geben. So kann es auch global ohne Einschränkungen genutzt werden.
Kamera und Radar erkennen und bewerten Situationen während des Fahrens. Diese gewonnenen Erkenntnisse gleichen sie untereinander ab, suchen das dazu passende Muster in der Software und veranlassen das entsprechende Fahrmanöver.
Wie beim Schach ist vorausschauendes Handeln beim Autofahren unerlässlich. Jeder kennt TCM – Staunachrichten werden auf das Navigationssystem eingespielt. Carto-X-Technologien bringen das auf den nächsten Level. Auf einer hinterlegten Karte wird ein weiterer Layer gelegt, der dem Fahrzeug ermöglicht z. B. einen Stau schon viele Kilometer vorher zu erkennen und dann frühzeitig eine Ausfahrt zu nehmen.
Menschen reden miteinander – wenn sie zusammenarbeiten. Fahrzeuge sollen das mit einer Kommunikation car-to-car in der Zukunft auch tun – sie kommunizieren untereinander – kündigen zum Beispiel eine Notbremsung rechtzeitig an und lassen das nachfolgende Fahrzeuge ebenso rechtzeitig bremsen. Moment stehen der Datenschutz und dessen Sicherung, dem noch entgegen.
Freitext24: Aktuell gibt es bereits den Abstandstempomat, das teilautonome Einparken und die Verkehrszeichenerkennung bei den derzeit käuflichen Fahrzeugen – Mit welchen weiteren Schritten in der Automatisierung ist zu rechnen?
Prof. Gunther Schaaf: Derzeitige in Fahrzeugen verbaute Assistenzsysteme übernehmen entweder die Quer- oder die Längsführung. Der Fahrer muss dabei stets das System überwachen und bereit sein die Kontrolle über das Fahrzeug ganz zu übernehmen. Er wird also nur passiv unterstützt. Ziel ist es das Level 3 (siehe oben zu erreichen). Der Fahrer wird vollkommen aus der Führung des Fahrzeuges und an der Beteiligung am Verkehrsgeschehen herausgenommen. Das System erkennt rechtzeitig, wann es an seine Grenzen kommt und Hilfe braucht. Es gewährt dann dem Fahrer ausreichend Zeit, um eingreifen zu können.
Die Langlebigkeit soll so ausgebaut werden, dass die Technik über den gesamten Nutzungszeitraum ohne Probleme arbeitet.
Bei Tesla wurde ein Autopilot verbaut und entwickelt. Dieser ist aber in seinen Funktionen aus rechtlichen Gründen noch beschnitten. Unter anderem fehlen noch wichtige Punkte – zum Beispiel was als Erstes zu tun ist, wenn zwei Dinge am Auto kaputt gehen –z.B. die Bremse und die Lenkung.
In einem Stau wird immer wieder gebremst und angefahren. Stand heute stellt das die teilautonomen Fahrzeuge noch vor ein Problem. Auch daran wird noch gearbeitet.
In Zukunft kommen statt Schwarz-Weiß-Kameras Farbkameras zum Zug. Diese können in einer weiteren Stufe Fahrbahnmarkierungen in Baustellen auseinanderhalten. Ergänzt wird das Ganze um Wärmesensoren, die Fußgänger und Tiere frühzeitig erkennen. Abschließend ist der Ausbau der Nachtsicht ein großes Forschungsthema.
Freitext24: Derzeit wird Platooning (elektronische Deichsel) im Bereich LKW z. B. bei Daimler getestet – macht Platooning auch im privaten Bereich Sinn?
Prof. Gunther Schaaf: Ja – auch das wäre vorstellbar. Gerade geht die Urlaubszeit zu Ende. Die Zeitungen und Verkehrsmeldungen füllten wieder Nachrichten über ellenlange Staus. Man kann sich also sehr gut vorstellen, dass man sich auf seiner Urlaubsfahrt gen Süden in eine Schlange an der Autobahn einklinkt und dann bis an den Urlaubsort döst, Zeitung liest oder mit seinen Kindern spielt. An der passenden Ausfahrt wird man geweckt, kann dann weiter selbst bis an den Campingplatz fahren. Vielleicht wird einem ein Stopp bei einer Pizzeria empfohlen, weil gerade die Rezeption überlastet ist.
Geklärt werden muss aber das Auf – und Abfahren auf die Autobahn, wer auf welcher Spur fahren darf und wie schnell. Oder was passiert, wenn ein PKW im Konvoi defekt ist.
Auch der Weg in die Arbeit ließe sich so effektiver gestalten. Mails können beantwortet werden, Konferenzen vorbereitet.
Insgesamt wäre das wie ein Zug auf der Straße – in dem jeder seinen eigenen Waggon hat.
Freitext24: Eine abschließende Frage. Wo konkret sehen Sie mögliche Gefahren des autonomen Fahrens?
Prof. Gunther Schaaf: Das autonome Fahren geht immer auch mit der Angst vor Kontrollverlust einher. Wer gibt das Ruder respektive das Lenkrad schon gerne aus der Hand? Gerade die Älteren unter uns verlassen sich nicht vorbehaltlos auf ein paar Speicherbausteine oder Vertrauen gerne diesen ihr Wohlergehen an.
Wo bleibt die Freude am Fahren? Sportwagenpiloten gruselt es, den Boliden einfach selber machen zu lassen. Zu frisch sind die Erinnerungen an die letzten Kurven an einem Pass. An das driftende Heck oder an andere Grenzerlebnisse.
Auch die Oldtimer-Freunde runzeln ihre Stirn. Wo können sie noch fahren? Gibt es Platz für sie? Kann die alte Technik sich ohne Probleme in diese neue Art von Verkehr einfügen? Respektiert und erkennt das autonome Auto das vorsintflutliche Gefährt – womöglich eines aus den 20 er Jahren?
Wer ist schuld bei einem Unfall mit Todesfolgen? Oder generell bei einem Unfall? Wie weit wird Technik ein Versagen zugestanden?
Nicht ohne Grund gibt es jetzt bei der HS Esslingen einen Studiengang „Digitale Technik und Ethik“.
Abschließendes: Autonomes Fahren wird zu einer Reduktion der Verkehrstoten führen. Älteren Leuten wird die Teilhabe am Straßenverkehr erleichtert. Der ruhende Verkehr kann neu geordnet und geregelt werden auf weniger Platz. Vielleicht gibt es gar keinen ruhenden Verkehr mehr und alle Fahrzeuge kreisen durch die Stadt, laden Passagiere aus, erledigen dann Botengänge usw. Weitergesponnen sind selbstfahrende Landmaschinen denkbar, die für den Landwirt aufs Feld gehen, während er selbst die Büroarbeiten ausführt. Das weiterentwickelte Car-Sharing bringt das Auto, das man gerade braucht, kommt zu einem nach Hause. Weg vom Auto sind Roboter denkbar, die Rollstuhlfahrer oder Blinde durch die Stadt führen.
Wie auch immer – es bleibt spannend.
Wir danken Prof. Gunther Schaaf für das Interview.